Projektbeschreibung AgiProbot:
Agiles Produktionssystem mittels mobiler, lernender Roboter mit Multisensorik bei ungewissen Produktspezifikationen

Ziel:
Wie kann sich eine Fabrik autonom an ständig neue Bedingungen anpassen? Das Forschungsvorhaben „AgiProbot“ am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) beschäftigt sich mit genau dieser Frage. Das Remanufacturing stellt dabei einen idealen Anwendungsfall dar: Gebrauchtprodukte kommen in einem unbekannten Zustand zu einem unbekannten Zeitpunkt und in unbekannter Menge in die Fabrik zurück und sollen hier möglichst automatisiert demontiert und ausgewählte Komponenten wieder in die Produktionsprozesse zurückgeführt werden. Das Projekt verfolgt das Ziel, ein agiles Produktionssystem zu gestalten, um mittels Künstlicher Intelligenz dynamisch auf ungewisse Produktspezifikationen zu reagieren. Die Fragestellung wird in Form einer interdisziplinären Forschungsgruppe mehrerer Institute aus Maschinenbau, Elektrotechnik und Informationstechnik sowie Informatik bearbeitet, um komplementäre Kompetenzen gezielt zu bündeln.


Vorgehen:
Der gemeinsame Lösungsansatz beruht darauf, eine variierende Anzahl autonom arbeitender, mobiler Roboter in Kollaboration miteinander sowie mit dem Menschen dazu zu befähigen, sich agil an dynamisch wechselnde Aufgabenstellungen anzupassen. Die Gebrauchtprodukte haben ungewisse Zustände, weshalb weder bekannt ist, in welcher Sequenz diese demontiert werden können, welche Prozesskräfte hierfür notwendig sind, noch, welche ihrer Komponenten sich überhaupt noch für eine Aufbereitung eignen. Das Projekt AgiProbot begegnet dieser Herausforderung durch intelligente Messtechnik, agile Produktionssteuerung und die Befähigung der Roboter zum Lernen vom Menschen. Die AgiProbot-Fabrik beinhaltet dabei eine Befundungsstation für möglichst autonome Inspektionsprozesse, eine manuelle Demontagestation, an welcher Mitarbeiter bislang unbekannte Produkte demontieren, eine autonom lernende Roboterstation, an welcher Produkte möglichst automatisiert demontiert werden und eine modulare, automatisierte Station. Zur Erreichung der notwendigen Flexibilität der Warenströme werden modulare fahrerlose Transportsysteme mit ausgeklügelten Manipulationsfähigkeiten entwickelt und mit einer besonders intelligenten und adaptiven Produktionssteuerung verbunden.


Befundungsstation:
Im Remanufacturing dominieren in frühen Phasen des Prozesses insbesondere Befundungsaufgaben, um den Zustand von aus dem Feld zurückkehrender Gebrauchtprodukte sowie deren Teilsysteme und Komponenten festzustellen. Dies ist notwendig, da der Zustand maßgeblich für weitere Schritte innerhalb des Gesamtprozesses notwendig ist. Aktuell werden diese Aufgaben im industriellen Umfeld hauptsächlich von Menschen übernommen. Stark beschädigte Produkte können gegebenenfalls nicht mehr aufgearbeitet werden und müssen, um Kosten zu sparen, bereits frühzeitig aus dem Prozess entfernt werden. Dies gilt natürlich auch für deren Teilsysteme und Komponenten, da hier sichergestellt werden muss, dass die Funktionsfähigkeit auch in einem weiteren Lebenszyklus gewährleistet ist. Auf der Befundungsstation werden diese Aufgaben automatisiert. Dabei ist der unsichere Zustand der Gebrauchtprodukte der besondere Schwierigkeitsgrad, denn jedes Gebrauchtprodukt weißt unterschiedliche Grade an Abnutzungserscheinungen wie etwa Deformationen, Risse oder Korrosion auf. Die modulare und wandlungsfähige Befundungsstation setzt verschiedene Verfahren der optischen Messtechnik ein. Die Gebrauchtprodukte, deren Teilsysteme und Komponenten werden dimensionell vermessen und geprüft. Zudem werden bildbasierte Verfahren zur Erfassung und Bewertung von Abnutzungserscheinungen genutzt. Verfahren des maschinellen Lernens werden genutzt, um sich auch auf neue Produkttypen und unterschiedlichste Abnutzungserscheinungen zu adaptieren. Die Befundung inkludiert eine automatisierte Identifikation des Produktes mittels Deep Learning, eine automatisierte Segmentation des Produktes in seine Komponenten, sowie eine adaptive Messung und Prüfung von Gestaltmerkmalen. Alle diese lernend realisierten Elemente führen zu einer Detektion und Bewertung von Anomalien, welche für die Planung der weiteren Demontage- und Aufarbeitungsprozesse essentiell ist.


Vom Menschen lernende Demontagestation:
Die Station befasst sich mit dem Lernen vom Menschen. Dabei geht es darum, Strategien zur Demontage von Produkten, sowie den Umgang mit schwierig zu handhabenden Komponenten, z.B. wegen ungewissen Produktspezifikationen wie Rost oder Verschmutzungen, vom Menschen abzuschauen. Das heißt, es sollen Demontageabläufe und Problemlösestrategien erlernt werden. Zu diesem Zweck wird der Mensch bei einer manuellen Demontage beobachtet. Die Beobachtung umfasst dabei die Erfassung der Blickrichtung sowie die menschliche Pose, Arm- und Handbewegungen in Kombination mit benutzten Werkzeugen und Produktkomponenten. Die Beobachtung wird möglichst wenig intrusiv, d.h. ohne vom Menschen zutragende Sensorik, erfolgen. Zusätzlich kann der Mensch, z. B. über einen Touchscreen, Feedback zur analysierten Demontage geben. Neben der menschlichen Pose ist dabei insbesondere die Blickrichtung ein Indikator für menschliche Handlungs- und Problemlösungsstrategien und dient damit der Übertragung menschlichen Expertenwissens auf Mensch-Roboter-Systeme. Die erfassten Daten werden als Eingabe für das „Programmieren durch Vormachen“ dienen, um eine automatisierte Demontage durch einen Roboter zu ermöglichen. D.h. die abgeleiteten Demontagestrategien können von anderen Stationen bei der automatisierten Demontage genutzt werden.


Autonom lernende Roboterstation:
Die Roboterstation Autonomes Lernen führt Demontageaufgaben autonom aus. Dabei wird angenommen, dass ein CAD Modell des Objekts gegeben ist. Von diesem wird eine Demontagesequenz abgeleitet. Um diese auf dem realen Roboter auszuführen, werden vordefinierte, abstrakte Beschreibungen von Roboterfähigkeiten, wie zum Beispiel das Greifen von Objekten, verwendet. Jede dieser Beschreibungen ist dabei eine Menge von Bedingungen, welche die Fähigkeit erfüllen muss. Zum Beispiel muss beim Greifen eine Kontaktbedingung zwischen Greifer und Objekt erfüllt sein. Um die Sequenz auszuführen, werden die abstrakten Beschreibungen an die Geometrie des aktuellen Produkts angepasst. Um dieses zu erkennen wird die Extraktion von Merkmalen mit Hilfe von Deep-Learning-basierten Algorithmen weiterentwickelt. Eine besondere Herausforderung dabei ist die Nutzung von Punktwolken als Input. Neben der Verwendung von echten, gemessenen Daten, werden außerdem Methoden entwickelt, um synthetische Daten für die Produktinstanzen zu erzeugen. Auf diese Weise wird eine breite Datenbasis für die lernenden Verfahren erzeugt. Die Station nutzt einen intelligenten, modularen und multifunktionalen Endeffektor. Die Anforderungen an diesen werden auf Basis einer Analyse der vom Menschen durchgeführten Demontageaufgaben hergeleitet. Geeignete Sensorik wird in den Endeffektor integriert, die eine agile Ausführung von Demontageaufgaben auch bei unvollständiger Kenntnis der Bauteile und Unsicherheiten in der Wahrnehmung erlaubt.



Fluid automatisierte Station:
An dieser Station wird das Konzept der fluiden Automatisierung konsequent umgesetzt und demonstriert. Das Framework beschreibt den Aufbau des Produktionssystems modular und streng hierarchisch. Dieses setzt sich aus losen verketteten Stationen in Matrixstruktur zusammen. Jede Station besteht aus einer beliebigen Anzahl standardisierter und miteinander gekoppelter Stationsmodule, welche wiederum eine Plattform für Elementareinheiten bilden und diese medienseitig versorgen. Letztere erfüllen spezifische Funktionen, wie die Handhabung von Produkten oder Demontageprozesse und bilden somit in Kombination die eigentliche Funktionalität bzw. den offerierten Service einer Station ab. Die Station ist hard- und softwareseitig Plug&Produce-fähig, sodass eine schnelle und reibungsfreie Rekonfigurierbarkeit ermöglicht wird. Die fluid automatisierte Station kommt für eine schnelle und effiziente Demontage von hinreichend bekannten Produkten und Demontageprozessen zum Einsatz. Darüber hinaus kann auf das von den anderen Stationen generierte und formalisierte Prozess- und Produktwissen zurückgegriffen werden, um bei Bedarf beschleunigt neue Elementareinheiten zu entwickeln.



Intelligente Intralogistik:
Die ungewissen Zustände im Remanufacturing stellen neue Herausforderungen für das Intralogistiksystem im agilen Produktionsumfeld dar. Als Bindeglied der einzelnen Stationen bleibt die Kernaufgabe des Intralogistiksystem zwar stets der Transport von Objekten, jedoch muss das System in der Lage sein, nicht nur Behälter, sondern auch lose Baugruppen zu transportieren und zu übergeben. Hierzu bedarf es dem Zusammenspiel von intelligenten, autonom navigierenden fahrerlosen Transportfahrzeugen, dezentral gesteuerten Übergabestellen, den sogenannten Transfer Units, sowie mit Kameras ausgestatteten Handling-Robotern.

Laufzeit: 01.03.2019 – 29.02.2024 Fördervolumen: 3 Mio. € Projektvolumen: 4,4 Mio. €